Unterschrift Wolfgang Thierse

Rede im Bundestag zur PID

 
7. Juli 2011

Rede zur Präimplantationsdiagnostik im Deutschen Bundestag

Rede von Wolfgang Thierse in der 2./3. Lesung der Gesetzentwürfe zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik im Deutschen Bundestag am 7. Juli 2011


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben eine schwerwiegende Entscheidung zu treffen, eine wahrlich schwierige Güterabwägung. Die Befürworter der PID tragen gewiss gewichtige Argumente vor. Ich kann mich ihnen trotzdem nicht anschließen; denn würden wir ihnen folgen, also PID zulassen, nähmen wir einen fundamentalen Paradigmenwechsel vor. Denn um der Hilfe bei individuellem Leid willen, um der Erfüllung des Wunsches nach einem eigenen, möglichst gesunden Kind willen veränderten wir ein Allgemeines höchst folgenreich: Wir ermöglichten Selektion, wir ermöglichten eine Qualitätsüberprüfung menschlichen Lebens.

Ich will meine Entscheidung gegen die PID in sieben Punkten begründen.
Erstens. Die Garantie der Menschenwürde bedeutet, dass jeder Mensch Subjekt aus sich heraus ist, Zweck in sich selbst im Sinne Immanuel Kants. Diese Menschenwürde gilt von Anfang an. Naturwissenschaftlich herrscht heute Einvernehmen darüber, dass mit der Kernverschmelzung das vollständige individuelle menschliche Genom entstanden ist, aus dem ein vollständiger menschlicher Organismus, ein neugeborenes Individuum, hervorgehen kann. Der Schutz der Menschenwürde muss also hier, zu diesem Zeitpunkt, beginnen.

Zweitens. Aus dem Gebot der Menschenwürde ergibt sich das Verbot der Instrumentalisierung, der Verzweckung eines Menschen. Bei der PID aber geschieht genau dies. Embryonen werden als Sachen behandelt, sie werden nicht um ihrer selbst willen gezeugt, sondern zum Zweck ihrer Auswahl. Ihr Sein, ihre Entwicklung werden von bestimmten genetischen Dispositionen und Merkmalen abhängig gemacht.

Drittens. Menschenwürde ist mit dem Recht auf Leben verknüpft. PID zielt aber auf Auswahl, ist also unweigerlich auf eine qualitative Selektion mit anschließender Beendigung menschlichen Lebens ausgerichtet. Die Notwendigkeit der Auswahl wird noch dadurch verschärft, dass zur Durchführung der PID mehr Embryonen gebraucht werden, als eingepflanzt werden können. Reproduktive Freiheit - wie das genannt worden ist - rechtfertigt aber auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit einen solchen Eingriff in das Lebensrecht nicht.

Viertens. Nach meiner Überzeugung sind die Konfliktlagen bei PID und beim Schwangerschaftskonflikt nicht vergleichbar. Bei der PND wird nicht prinzipiell ein Ergebnis vorweggenommen. Es geht im Konfliktfall um die Abwägung zwischen dem Lebensrecht des Ungeborenen und dem Recht der Schwangeren auf Leben und physische wie psychische Unversehrtheit. Bei der PID aber wird von vornherein eine Entscheidung zwischen verschiedenen, geeigneten oder ungeeigneten, Embryonen getroffen.

Fünftens. Eine Zulassung der PID würde genau den Selektionsgedanken in die deutsche Rechtsordnung wieder einführen, dem der Gesetzgeber mit der Ablehnung der embryopathischen Indikation, also der Erlaubnis, menschliches Leben aufgrund unerwünschter Eigenschaften zu verwerfen, bei der Reform des § 218 ausdrücklich widersprochen hat.

Sechstens. Wer behauptet, PND und PID liefen dann, wenn ein krankes oder behindertes Kind zu erwarten sei, letztlich auf dasselbe, auf eine Tötung des Embryos, hinaus, unterstellt genau den Automatismus, den der Gesetzgeber mit der Abschaffung der embryopathischen Indikation verhindern wollte. Rechtsmissbrauch aber darf vernünftigerweise nicht als Argument herhalten.

Die missbräuchliche Praxis einer Inanspruchnahme der PND, die sogenannte Schwangerschaft auf Probe, sollte nicht zu einem Argument für die PID, für eine Zeugung auf Probe, gemacht werden.

Siebtens. Es ist nicht Alarmismus oder ein angstbesetzter Blick auf den wissenschaftlichen Fortschritt, wenn man die Möglichkeiten der Begrenzung der PID für äußerst fraglich hält. Dank der Weiterentwicklung der Untersuchungsmethoden lässt sich mit aller Wahrscheinlichkeit die Erhebung von sogenannten Nebenbefunden nicht verhindern. Wenn man PID erlaubt, werden eben auch das Screening auf chromosomale Fehler oder das Genetic Screening möglich.

Zum Schluss. Selbst nach Auffassung ihrer Befürworter handelt es sich bei der PID um eine Methode, die so problematisch ist, dass sie nur in seltenen Fällen eingesetzt werden sollte. Ist unsere ganze Aufregung also unangemessen? Sollten wir nicht diese wenigen Ausnahmen zulassen? Ich meine, nicht. Bei der Entscheidung über die PID geht es heute um sehr grundsätzliche Fragen: um die Frage nach der Bedingtheit oder Unbedingtheit des Kinderwunsches, die Frage nach unserem Begriff von Menschenwürde und für wen und ab wann diese gilt, die Frage nach der Qualitätsüberprüfung beginnenden menschlichen Lebens und der ihr folgenden Möglichkeit zur Selektion.

Es geht nicht um eine Ethik der Strafe, sondern um eine Ethik der Menschenwürde.

PID verhindert möglicherweise in einzelnen Fällen Leid, aber sie verhindert in jedem Fall das Lebensrecht von gezeugtem menschlichen Leben. Wir sollten das nicht tun. Bitte unterstützen den Gesetzentwurf zum Verbot der PID!