Unterschrift Wolfgang Thierse

Festvortrag Knoblochhaus

 
13. Juni 2009

Festrede „250 Jahre Knoblauchhaus / „20 Jahre Museum Knoblauchhaus“

Festrede „250 Jahre Knoblauchhaus / „20 Jahre Museum Knoblauchhaus“ am 13. Juni 2009 in Berlin im Märkischen Museum:
 
Verehrte Mitglieder des Förderkreises Museum Knoblauchhaus, liebe Angehörige der Familie Knoblauch,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

dass wir das Jubiläum „250 Jahre Knoblauchhaus“ feiern können, ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Der stattliche Familiensitz wurde zwar dort errichtet, wo die Stadt Berlin einst ihren Geburtsort, ihr historisches Zentrum hatte. Aber von diesem ist bekanntlich nicht viel geblieben. Es ist ein echter Glücksfall, dass das Gebäude die Bomben des Zweiten Weltkrieges, die Gefechte um Berlin und die Abrissbirnen der Nachkriegszeit unversehrt überstanden hat.

Das Knoblauchhaus ist stummer Zeuge bewegter Zeiten. An den Lebenswegen, an den Schicksalen seiner Bewohner lassen sich heute wichtige Kapitel der Stadt-, Kultur- und Wirtschafts¬geschichte Berlins ablesen. Erbaut wurde das Haus 1759, also mitten im Siebenjährigen Krieg, von Johann Christian Knoblauch. Die Nutzungsgeschichte des Hauses ist verknüpft mit einschnei¬denden politischen Entwicklungen in Deutschland, mit den wechselvollen Ereignissen der Zeitgeschichte, mit den großen Tragödien der Stadt.

Das Wirken der Knoblauchs steht exemplarisch für das aufstrebende Berliner Bürgertum. Aus der Familie gingen einflussreiche Kaufleute, Baumeister, Kommunalpolitiker und Wissenschaftler hervor. Zu ihren Gästen zählten im Laufe der Zeit Persönlichkeiten wie Karl Friedrich Schinkel, Wilhelm von Humboldt, Gottfried Schadow, Daniel Christian Rauch, Friedrich Schleiermacher.

Der 1801 im Haus geborene Eduard Knoblauch gehörte zu den bedeutenden Architekten des 19. Jahrhunderts aus dem Umkreis der Schinkelschule. Mit seinem Hauptwerk, der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße, setzte er einen wichtigen städtebaulichen Akzent. Baubeginn war im Mai 1859, also vor fast genau 150 Jahren (noch ein Jubiläum!). Mit dem Familiensitz im Nikolaiviertel, vor allem aber mit dieser Synagoge in der Spandauer Vorstadt, dem heutigen Centrum Judaicum, haben sich die Knoblauchs im Stadtbild verewigt. Was wäre das heutige Berlin ohne diesen wunderbar restaurierten eindrucksvollen Bau! Eduard Knoblauch war übrigens auch in der Berliner Kommunalpolitik aktiv. Er gründete den Architektenverein Berlin und legte den Entwurf für eine neue städtische Bauordnung vor.

Sein Bruder, der Kaufmann und Seidenfabrikant Carl Knoblauch, engagierte sich ebenfalls als Bürger und kümmerte sich um die Belange des Gemeinwesens, insbesondere um soziale und kulturelle Themen. Er ließ sich 1822 zum unbesoldeten Stadtrat wählen, wurde Mitglied des Kirchenvorstandes der Nikolai- und Marien-Gemeinde.

Sein Sohn, Hermann Knoblauch, zählte 1845 zu den Mitbegründern der heute noch bestehenden Physikalischen Gesellschaft zu Berlin – gemeinsam mit Gustav Magnus, Hermann von Helmholtz, Werner von Siemens und Karl Johann Karsten. Er arbeitete als Experimen¬talphysiker und erhielt schon mit 29 Jahren seinen ersten Ruf als Professor an die Universität Marburg. 1853 wechselte er an die Universität Halle-Wittenberg und bekleidete dort später die Position des Rektors. Auch er war politisch aktiv – als Parlamentarier. Er wurde 1873 als Vertreter der Universität Halle-Wittenberg auf Lebenszeit in das Preußische Herrenhaus berufen und nahm an Sitzungen des Parlaments in Berlin teil.

Das politische und im besten Sinne bürgerschaftliche Engagement von Mitgliedern der Familie Knoblauch belegt beispielhaft das wachsende bürgerliche Selbstbewusstsein im 19. Jahrhundert. Der wirtschaftliche Erfolg verlieh dem Streben des Bürgertums nach politischer Mitbestimmung gehörigen Auftrieb, die monarchische Staatsform in Preußen wurde zunehmend als anachronistisch empfunden. Angehörige des Wirtschafts- und Bildungsbürgertums mischten sich in die gesellschaftlichen Angelegenheiten ein und übernahmen immer mehr Aufgaben im öffentlichen Leben. So auch der 1851 geborene Bernhard Knoblauch, der Ausgang des 19. Jahrhunderts den Kuratoriumsvorsitz der Unfallstation des Roten Kreuzes übernahm.

Mit Beginn des 20. Jahrhunderts diente das Haus abwechselnd als Miets- und Verwaltungsgebäude, 1929 ging es in den Besitz der Stadt über. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte die Umgestaltung der Kellerräume in eine Gaststätte – die „Historischen Weinstuben“. Das bis heute erhaltene Kreuz- und Tonnengewölbe ist eine architektonische Rarität.

Im Zuge der Rekonstruktion des Nikolai-Viertels anlässlich des 750-jährigen Stadtjubiläums wurde das Haus nach historischen Vorlagen rekonstruiert und renoviert. Mitglieder der Familien Knoblauch und Keibel stifteten zur Ausstattung des Hauses Möbel, Bilder, Gebrauchsgegenstände, Dokumente. Nach fünfjähriger Rekonstruktion begann 1989 im Knoblauchhaus der Museumsbetrieb – in Trägerschaft des Märkischen Museums. Es feiert in diesen Tagen seinen 20. Geburtstag.

Meine Damen und Herren,
es klang eben schon an: Auch die Geschichte des Museums ist eine Geschichte gemeinnützigen Engagements; bis heute führen die Nachkommen der Knoblauchs diese gute Tradition fort.

Dem 1992 von Paul Knoblauch sowie weiteren Familienangehörigen und Freunden gegründeten „Förderkreis Museum Knoblauchhaus“ gebührt Anerkennung und Respekt für ihren großartigen Einsatz zugunsten des Museums – für ihre Spenden, Leihgaben und Schenkungen. Dank dieser großzügigen privaten Initiative können sich die Bewohner und Gäste der Stadt am authentischen Ort über das Leben, den Alltag, die Leistungen einer Berliner Bürgerfamilie informieren, die über mehrere Generationen Einfluss auf die Entwicklung Berlins genommen hat. Als Träger des Knoblauchhauses fungiert heute die 1995 gegründete Stiftung Stadtmuseum Berlin, eine ideenreiche und umtriebige Stiftung öffentlichen Rechts.

Natürlich ist es eine besondere Herausforderung, in der angebotsreichen Berliner Museumslandschaft die potentiellen Besucher auf die kleineren, häufig sehr feinen und gut geführten Häuser aufmerksam zu machen. Wir haben in Berlin immerhin über 175 Museen und Sammlungen, darunter so prominente wie das Pergamonmuseum, die Alte Nationalgalerie, das Jüdische Museum. Aber gerade die Verschiedenheit und Exklusivität der Angebote reizt die Besucher.

Als Bürger der Stadt wie als Politiker plädiere ich dafür, dass wir die Vielfalt und Qualität unserer Museumslandschaft sehr selbstbewusst und energisch verteidigen. Museen wie das Knoblauchhaus sind außerordentlich wichtig für die Identitätsbildung der städtischen Bürgerschaft. Sie befördern die kulturelle und politische Bildung ebenso wie die Persönlichkeitsentwicklung: Das Wissen um die eigene Herkunft, die intellektuelle und emotionale Verwurzelung in der Stadt, in der Region – das gibt jedem von uns ein Stück Sicherheit, das gehört zum Menschsein einfach dazu.
Stadtmuseen machen im besten Sinne Geschichte anschaulich und verstehbar, stellen Beziehungen her zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, prägen historisches Bewusstsein, vermitteln kulturelle Maßstäbe. Am Beispiel der Familie Knoblauch lässt sich wunderbar nachvollziehen, welche Rolle dem Berliner Bürgertum bei der Entfaltung von Kunst und Kultur im 18. und 19. Jahrhundert zukam und welchen Einfluss die Bürger auf ihr Gemeinwesen genommen haben. Bürger(schaft)liches Engagement, freiwillige Arbeit für andere und mit anderen – das sind keineswegs Erfindungen der Nachkriegszeit, sondern bewahrenswerte Traditionen. Teilhabe und Engagement sind Voraussetzungen für ein anregungsreiches städtisches Leben.

Gute Stadtmuseen würdigen nicht nur die Leistungen und Potentiale der Stadtbürger, sondern sie machen auch die historischen Brüche und Widersprüche, die Verluste und Leerstellen im städtischen Raum kenntlich. Sie zeigen die mitunter konfliktreichen Schnittpunkte von nationaler Geschichte und städtischem Alltag.

Meine Damen und Herren,
über die Geschichte des Knoblauchhauses und über seine Bedeutung für den städtischen Raum kann nicht gesprochen werden, ohne auch auf die aktuellen städtebaulichen Debatten und Entwicklungen einzugehen. Das Nikolaiviertel spielt in diesen eine wichtige Rolle.

Die noch zu DDR-Zeiten erfolgte Rekonstruktion des Viertels in einer historisierenden Mischung aus wenigen erhaltenen Originalbauten, aus Nachschöpfungen und industriell vorgefertigten Wohnungsbauten markiert zweifellos einen Prozess des Umdenkens und der Rückbesinnung auf die Qualitäten des historischen Stadtraums.

Nach den Zerstörungen des alten Berliner Zentrums infolge von Kriegseinwirkungen und radikaler Abräumarbeiten bis in die sechziger, siebziger Jahre hinein waren das urbane Vakuum, die Leere, die Geschichtsvergessenheit immer offensichtlicher geworden. Wo über Jahrhunderte städtisches Leben gewachsen war, gab es nun viele Brachen, überbreite Straßen und einige frei stehende Kirchen (wie die Marienkirche und die Nikolaikirche). Aber es gab kein historisches Viertel mehr, das die 750-jährige Geschichte der Stadt nachvollziehbar machte. Die Rekonstruktion des Nikolaiviertels war ein Versuch, hier gegenzusteuern, die Ost-Berliner Innenstadt geschichtlich zu verankern und mehr hauptstädtische Urbanität zu gewinnen.

Nach der Wiedervereinigung wurde dann endlich die ganze Stadt in den Blick genommen, wurde nach den verschütteten und auffindbaren Spuren der Geschichte im Stadtbild gefahndet. Stadtplaner, Kulturwissenschaftler, Politiker, interessierte Bürgerinnen und Bürger befassten sich mit der Stadt als dem baulichen Gedächtnis ihrer Bewohner. Und genau das ist es doch, was uns an alten Städten, an innerstädtischen Ensembles, an historischen Gebäuden interessiert. Das Knoblauchhaus ist auch dafür ein gutes Beispiel.

Eine Stadt soll lebbar sein, sie soll aber auch lesbar sein – nicht leer, nicht unter Asphalt begraben. Als Bewohner und als Flaneure wollen wir ihre geschichtlichen Prägungen entziffern. Welche Städte gefallen uns? Rom, Prag, Paris ... Alles Städte, in denen verschiedene historische Schichten präsent, erlebbar und sichtbar sind, in denen nicht historische Eindimensionalität dominiert, sondern in denen menschenverträgliche Ungleichzeitigkeit architek¬tonische und städtebauliche Gestalt geworden ist.

Die Debatte der neunziger Jahre um die baupolitischen Leitlinien der künftigen Stadtplanung wurde sehr leidenschaftlich geführt, hochideologisch und kontrovers. Es war gleichwohl eine demokratische Auseinandersetzung, ein demokratischer Prozess! Mit dem 1999 verabschiedeten Planwerk Innenstadt wurde die Wiederherstellung des Stadtganzen sogar Regierungsprogramm. Berlin hat, wie es Klaus Hartung so schön auf den Begriff brachte, „den historischen Stadtgrundriss als das eigentliche Textbuch oder Quellcode der Stadt anerkannt“. (Tsp. vom 28.5.2009)

Der Streit, die Anstrengungen der letzten zwei Jahrzehnte haben sich gelohnt, man sieht die Ergebnisse im Stadtbild. Aber die Debatte um das historische Zentrum geht weiter und muss weitergehen. Viele wichtige Entscheidungen stehen noch aus, aber Berlin – das darf man trotz aller Erregungen konstatieren – ist auf einem ordentlichen Weg.
Auch der Bund hat Verantwortung für die Wiedergewinnung des historischen Stadtraums übernommen. Die sehr deutliche Entscheidung des Deutschen Bundestages für den Bau des Humboldtforums in der Kubatur des Stadtschlosses belegt dies eindrucksvoll. Der Siegerentwurf des italienischen Architekten Francesco Stella hat die Wettbewerbsvorgaben wunderbar umgesetzt.

Die Wiedererrichtung des Stadtschlosses ist alles andere als eine Flucht in die Vergangenheit. Das Humboldtforum wird öffentlich genutzt werden – durch die Bürger der Stadt und ihre Gäste aus aller Welt. Es soll die außereuropäischen und völkerkundlichen Sammlungen von Dahlem beherbergen und sie damit wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Außerdem sollen die wissenschaftsgeschichtlichen Sammlungen der Humboldt-Universität und Teile der Berliner Landes- und Zentralbibliothek einbezogen werden. Es ist eine faszinierende Idee, die Sammlungen der außereuropäischen Kulturen mit den europäischen Sammlungen auf der Museumsinsel in eine Beziehung zu setzen. Damit entsteht eine auf der Welt einmalige, dialogische Museumslandschaft im Herzen Berlins.

Wie bei anderen Hauptstadtprojekten der letzten zwei Jahrzehnte auch (Reichstagsverhüllung, Holocaust-Mahnmal) kamen wiederum wichtige Anstöße zur Errichtung des Humboldt-Forums unmittelbar aus der Bürgerschaft – von engagierten Persönlich¬keiten und Vereinen, die hartnäckig Überzeugungsarbeit leisten und erhebliche materielle Mittel einwerben. Und das ist doch eine gute Botschaft: Es sind auch heute Bürgerinnen und Bürger, die etwas bewegen, die ihre Stadt voranbringen und verändern, die Verantwortung übernehmen und nicht nur delegieren. Darin sehe ich eine wichtige Parallele zum gemeinnützigen Engagement von Mitgliedern der Familie Knoblauch im 19. Jahrhundert und heute bei der Unterstützung des Knoblauchhauses durch den Förderkreis.

Meine Damen und Herren,
die Errichtung des Humboldt-Forums in unmittelbarer Nachbarschaft zum Nikolaiviertel wird, so hoffe ich jedenfalls, nicht der Schlussstein bei der Rückgewinnung des historischen Stadtraums sein. Die seit 1996 geführte Diskussion um die Fläche zwischen Fernsehturm und Spree (Ostseite des künftigen Humboldt-Forums) hat gerade in den letzten Monaten wieder an Fahrt gewonnen.

Mittelpunkt dieses Viertels rund um die heute frei stehende Marienkirche war die Heiligen-Geist-Straße. Das Quartier bestand aus einem Straßengeflecht mit dem Neuen Markt, mit Wohn- und Geschäftshäusern. Hier befand sich das Wohnhaus von Henriette Herz. Lessing, Moses Mendelssohn und Karl Friedrich Schinkel lebten hier; Fontane wanderte durch die Gassen. Die Straßenzüge sind heute unter Beton- und Rasenflächen verborgen. Aber es gibt ein sehr klares Orientierungszeichen – nämlich das auf dem Marx¬Engels-Forum befindliche Denkmal. Es steht auf dem Grundstück der Heiligen-Geist-Straße 16.

An diese Zusammenhänge zu erinnern, ist beileibe kein Appell zur schnellen Beräumung der Fläche. Aber es muss erlaubt sein, darüber nachzudenken, wie der riesige Freiraum zwischen Spandauer Straße und Nikolaiviertel, zwischen Fernsehturm und Spree als städtischer Raum zurückgewonnen werden kann.
Der Berliner Kulturstaatssekretär Andre Schmitz sprach sich vor einigen Wochen dafür aus, eine Ausstellung mit historischen Fotografien vorzubereiten, die uns allen in Erinnerung ruft, wie das Stadtzentrum noch bis weit in die 60er Jahre ausgesehen hat. Unserem „kurzen historischen Gedächtnis“ müsse auf die Sprünge geholfen werden, sagte Andre Schmitz, und ich denke, er hat Recht.

Ohne immer neue Befragung der Geschichte ist Identitätsstiftung, ist Selbstvergewisserung nicht zu haben. Geschichte ist nach vorne offen, auch das wissen wir – und es zählt ja zu den vornehmsten Aufgaben städtischer Museen, uns alle immer mal wieder daran zu erinnern.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Berlin verdankt seinen intellektuellen, seinen städtischen Reichtum einer ebenso aufgeklärten wie engagierten Bürgerschaft – damals wie heute. Das Knoblauchhaus berichtet davon sehr anschaulich. Ich danke allen sehr herzlich, die sich um dieses Museum, dieses Juwel im Stadtbild kümmern, die die Erinnerung an die Knoblauchs wach halten und nachkommenden Generationen vermitteln. Nochmals einen besonders herzlichen Gruß an die Mitglieder des Förderkreises!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!