Unterschrift Wolfgang Thierse

Ausstellungseröffnung Annemirl Bauer

 
28. März 2012

Grußwort zur Eröffnung der Annemirl-Bauer-Ausstellung im Deutschen Bundestag

Sehr geehrte Frau Amrei Bauer , liebe Kolleginnen und Kollegen,

liebe Kunstfreunde, verehrte Gäste,

ich heiße Sie herzlich willkommen im Mauer-Mahnmal des Deutschen Bundestages, einem Ort, in den sich die politische Geschichte des 20. Jahrhunderts auf so unverwechselbare Weise eingeschrieben hat.

Die Ausstellung mit dem Titel „In meinem eigenen Lande. Die Malerin und Dissidentin Annemirl Bauer“ – sie passt an diesen deutsch-deutschen Erinnerungsort. Sie passt ins Zentrum des vereinten Berlins und sie passt zum Deutschen Bundestag!

Doppeltes Ziel dieser Ausstellung ist es, (1.) endlich eine größere Öffentlichkeit auf Annemirl Bauer und ihre Arbeiten aufmerksam zu machen und (2.) ihr Lebenswerk zu würdigen. Der Begriff „Lebenswerk“ zielt nicht nur auf das umfangreiche Oeuvre, das sie geschaffen hat (rund 16.000 Arbeiten). Er zielt auch auf die (Lebens-) Haltung der Künstlerin, auf ihr gesellschaftskritisches Engagement in der DDR, auf ihre Geradlinigkeit. Und er zielt auf die brisanten Themen, zu denen sie mutig Position bezogen hat – in ihren Bildern und darüber hinaus.

Annemirl Bauer, 1939 in Jena geboren, besuchte zunächst die Fachschule für angewandte Kunst in Sonneberg und absolvierte ein Abendstudium an der Dresdner Kunstakademie, bevor sie Anfang der 60er Jahre an der Kunsthochschule Berlin Weißensee ihr Studium aufnahm – u.a. bei Fritz Dähn, Walter Womaka, Arno Mohr. Das Studium beendete sie 1965 mit einem Diplom für baugebundene Kunst. Im gleichen Jahr begann sie freiberuflich zu arbeiten und wurde Mitglied des Verbandes Bildender Künstler der DDR (VBK).

In den Jahren 1974-1981 übernahm sie mehrere Auftragsarbeiten für architekturbezogene Wandbilder in öffentlichen Gebäuden und geriet bald schon in Konflikte mit der Obrigkeit – mit staatlichen Behörden, mit Verbandsfunktionären, mit der Staatssicherheit. Anfang der 80er Jahre versuchten Mitarbeiter des MfS ausgerechnet sie als Spitzel (als IM) in der Künstlerszene anzuwerben, was sie konsequent verweigerte und im Kollegenkreis öffentlich machte.

Annemirl Bauer wehrte sich gegen politische Zumutungen aller Art, sie verschaffte sich Gehör, protestierte und rebellierte. „Wenn es um den Kampf der Meinungsfreiheit ging und die Rechte der Frauen“, erinnerte sich Bärbel Bohley, „hat keine ihre Stimme so erhoben wie sie.“

Innerhalb des DDR-Künstlerverbandes kritisierte sie das intransparente System der Auftragsvergabe und die Willkür bei der Genehmigung von Westreisen. Ebenso beklagte sie die politisch angepasste Juryarbeit im Vorfeld von Ausstellungen.

Solidarisch setzte sich Annemirl Bauer für Kolleginnen ein, die aus politischen Gründen im Gefängnis saßen, so etwa für die Bürgerrechtlerin und Freundin Bärbel Bohley.

Im Februar 1984 verfasste Annemirl Bauer eine fünfseitige Eingabe an den Präsidenten des Verbandes Bildender Künstler, Willi Sitte, das sie in Kopie auch an den DDR-Kulturminister und den Ideologiechef im SED-Zentralkomitee schickte.

Annemirl Bauer sprach darin dem staatlich-repressiven System der SED jede Legitimation ab. Gegen die Mauer argumentierte sie: „Die Eingrenzung eines ganzen Volkes auf Dauer ist Gewaltanwendung und führt zu Isolierung und Entmündigung desselben.“ Die Selbstschussanlagen an der Grenze sind, so Bauer, „gegen meinen Willen, ohne das Einverständnis aller in der DDR lebenden Menschen gegen uns selbst gerichtet (…) und sogleich, ebenfalls ohne unsere Zustimmung, von uns selbst finanziert!“ Eine klare Absage an das zynische Grenzregime und damit an die deutsche Teilung!

Ebenfalls kritisierte Annemirl Bauer das Frauenwehrdienstgesetz, den demütigenden Freikauf von DDR-Bürgern gegen Devisen, die gewaltsame Ausbürgerung von Intellektuellen. Dem Künstler­verband bescheinigte sie autoritäres Verhalten, Doppelzüngigkeit, ideologische Manipulation.

Dieses Dokument des Widerstands – es liegt heute im Archiv des Beauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes. Warum wird es nicht in unseren Schulbüchern abgedruckt – als Beispiel bürgerschaftlichen Verhaltens in der zweiten deutschen Diktatur? Das wäre sehr viel angemessener!

Als Reaktion auf ihr Protestschreiben wurde Annemirl Bauer im Sommer 1984 aus dem DDR-Künstler-Verband ausgeschlossen, was einem Berufsverbot gleichkam. Die Stasi eröffnete gegen sie einen operativen Vorgangwegen „staatsfeindlicher Hetze“ und organisierte perfide „Zersetzungsmaßnahmen“ in ihrem Umfeld. Durch gezielten Einsatz von Spitzeln sollte sie im Kollegen- und Freundeskreis isoliert und in wirtschaftliche Bedrängnis gebracht werden. Das MfS initiierte Verhöre, Steuernachforderungen, Einbrüche und Vandalismus in ihrem Atelier.

Dank des Einsatzes von Kollegen und Freunden erhielt sie später die Arbeitserlaubnis zurück und wurde wieder in den Ost-Berliner Künstlerverband aufgenommen. Doch im Kunstbetrieb blieb sie eine Außenseiterin, isoliert und ausgegrenzt.

Im August 1989 erlag Annemirl Bauer einem Krebsleiden – unmittelbar vor Beginn der friedlichen Revolution in der DDR, deren Vorkämpferin sie doch war. Mit dem friedlichen Aufbruch fiel die Mauer und erfüllten sich ihre politischen Forderungen.

Doch ein Ärgernis bleibt: In den zahlreichen Werken zur DDR-Kunstgeschichte, die in den vergangenen 22 Jahren verfasst wurden, finden sich kaum Hinweise auf Annemirl Bauer! Das ist bedauerlich und wird ihr nicht gerecht.

Es ist ganz wesentlich der Tochter Annemirl Bauers, Frau Amrei Bauer, zu verdanken, dass die Erinnerung an die Künstlerin dennoch bewahrt und wach gehalten wird. Dank ihres Engagements, verehrte Frau Bauer, ist der Name ihrer Mutter jetzt auch im Berliner Stadtbild präsent. Sie haben dafür gesorgt, dass es seit zwei Jahren einen Annemirl-Bauer-Platz in Berlin-Friedrichshain (am Ostkreuz) gibt. Eine wunderbare Initiative!

Der Deutsche Bundestag hat das seine getan und eine Serie mit vier Arbeiten von Annemirl Bauer angekauft. Ich bin persönlich froh darüber, dass diese wichtige deutsche Künstlerin des 20. Jahrhunderts in unserer Sammlung vertreten ist!

Ich danke allen, die diese Ausstellung ermöglicht haben: Ihnen, Frau Bauer, sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Kunstreferats beim Deutschen Bundestag. Ich freue mich, dass wir mit Tobias Morgenstern einen wunderbaren Musiker zu Gast haben.

Doch bevor Tobias Morgenstern für uns spielt, bitte ich Kristina Volke um die Einführung in das künstlerische Werk von Annemirl Bauer.

 

Herzlichen Dank!