Unterschrift Wolfgang Thierse

150 Jahre SPD

 
15. März 2013

„So fern – so nah. 150 Jahre Sozialdemokratie und die Kirchen": Rede von Wolfgang Thierse anlässlich einer vom Arbeitskreis der Christinnen und Christen in der SPD (AKC) gemeinsam mit der Evangelischen und Katholischen Akademie Berlin abgehaltenen Tagung

150 Jahre SPD und die Kirchen

 

150 Jahre alt zu werden, sei kein Ausdruck von Schwäche. So las ich‘s neulich in einem Zeitungskommentar, und das gefällt mir. Wieviel mehr aber könnte und sollte das gelten für die 2000jährige Kirche? Über das Verhältnis beider, über die Geschichte des Verhältnisses einer sehr alten Institution und einer vergleichsweise jungen Partei soll ich reden und zwar in aller Kürze.

 

„Mehr Bebel und weniger Bibel“ – das empfahl mir (und der SPD) ein kämpferischer Laizist am Schluss einer freundlich-heftigen Diskussion. Eine befremdliche Empfehlung, finde ich. Zurück ins 19. Jahrhundert?

 

Zurück in eine Zeit, in der sich – nach einer berühmten Formulierung von August Bebel – Christentum und Sozialismus „wie Feuer und Wasser“ gegenüber standen?

 

Ja, gewiss: Das Verhältnis von Sozialdemokratie und Arbeiterbewegung zu den christlichen Kirchen war lange Zeit angespannt und konfliktreich, ein Verhältnis des Gegeneinanders, der wechselseitigen Kritik, der Fremdheit, eigentlich ein Nichtverhältnis… Und es war ein sehr weiter Weg, ein Prozess erheblicher Veränderungen auf beiden Seiten, der bis zum heutigen partnerschaftlichen Verhältnis zwischen der SPD und den Kirchen geführt hat.

 

Die frühe Arbeiterbewegung und die junge SPD erfuhren ihre denkerischen, philosophischen Prägungen ganz wesentlich durch die Religionskritik der materialistischen französischen Aufklärungsphilosophen, durch Feuerbach und Marx, durch den Zeitgeist des 19. Jahrhundert, der geprägt war durch den Darwinismus und den Positivismus und Optimismus der Wissenschaften. Die Vorstellung von einem gesetzmäßigen Gang der Geschichte, ihrer gewissermaßen unaufhaltsamen Aufwärtsbewegung mag uns ziemlich fremd geworden sein, aber sie war wohl eine notwendige „heroische Illusion“ (Marx) für eine Bewegung, die ganz unten begann. Der Linkshegelianismus trug in der Arbeiterbewegung politische Früchte – z. B. im Geschichtsoptimismus von August Bebel (wie man in seinen Reden und Texten nachlesen kann). Und wenn man die Einleitung „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“ von Karl Marx liest, wird man sich auch heute ihrer Wirkung, ihrem Pathos nicht gänzlich entziehen können: „…die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik. (…) Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist. Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elends und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.“

 

Sie kennen die Sätze. Und ich erinnere mich auch an deren einengende, folgenreiche Auslegung in der kommunistischen Welt. Aber was da bei Marx auf so pointierte Weise ausgedrückt wurde, das entsprach der realen Erfahrung der Armen und Unterdrückten, also der proletarischen Klasse: Die Verbindung von Thron und Altar, die Kirchen als Teil der Obrigkeit, die Religion als Herrschaftsinstrument…

 

Die Emanzipationsbewegung der Arbeiterschaft machte die einfache und brutale Erfahrung, dass sich zu ihrer Abwehr die politischen Gegner mit Kirche und Religion wappneten, um die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu verteidigen, die die Arbeiterbewegung zu überwinden trachtete. Auch die Unterstützung der Sozialistengesetze durch die Kirchen zählte zu den negativen Erfahrungen der jungen Sozialdemokratie.

 

Man mag zudem die lange Liste von kirchlichen Verdammungsurteilen gegen die Sozialdemokratie gar nicht aufblättern. Trotz Ausnahmen wie Johann Heinrich Wichern oder Bischof Ketteler gab es keine Brücken, keine Verständigung, kein Verständnis. Sozialismus war für die Kirchen der Inbegriff organisierter säkularistischer Gegenkirchlichkeit; Dialog- und Vermittlungsmöglichkeiten schieden angesichts des „Weltkampfes zwischen Licht und Finsternis“ aus. (So hat es Günter Brakelmann beschrieben.) Das galt für beide Kirchen und es galt bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein. Nach 1931 dekretierte Pius XI. in seiner Enzyklika „Quadragesimo Anno“: „Der Sozialismus, gleichviel ob als Lehre, als geschichtliche Erscheinung oder als Bewegung…bleibt mit der Lehre der katholischen Kirche immer unvereinbar. (…) Es ist unmöglich, gleichzeitig guter Katholik und wirklicher Sozialist zu sein“.

 

Das ist alles weit weg, aber man muss es sich vergegenwärtigen, um zu verstehen, warum es zu der Bebelschen Formel von Feuer und Wasser gekommen ist. Es war nicht ein eingebildeter, nicht ein nur ideologischer, sondern ein wirklich erlebter, erfahrener Gegensatz (übrigens auch in getrennten Sozial- und Kulturmilieus gelebt) – der zu einer nahezu selbstverständlichen antikirchlichen Haltung, zu einem ganz alltäglichen Atheismus in der Arbeiterbewegung führte. Er findet sich in allen programmatischen Texten der frühen Sozialdemokratie wieder – in der entschiedenen Forderung nach der Trennung der Kirche vom Staat, der Schule von der Kirche.

 

Vor diesem Hintergrund erscheint die Formulierung des Erfurter Programms der SPD (1891) „Religion ist Privatsache“ als eine vorläufige Plattform der innerparteilichen Verständigung. Für die einen war es eine kritische Abwehrformel, für die anderen ein Ausdruck theoretischer Überlegenheit. Aber genau mit dieser Formel wurde die SPD – so sehr sie in späteren Jahrzehnten auch Kirchenaustrittsbewegungen unterstützte – nie eine Partei nur von Atheisten oder gar eines obligatorischen Atheismus. (Man musste nicht mit dem Parteieintritt seinen Kirchenaustritt erklären.)

 

Erst die SED war es, die in der Tradition eines unaufgeklärten, kämpferischen Atheismus versuchte, von Staats wegen Religion und Kirche zu überwinden, zunächst durchaus militant, später dann in der Weise, dass sie den Kirchen und Christen den Anspruch auf Öffentlichkeit und selbstbestimmte gesellschaftliche Wirksamkeit bestritt und beschränkte: Religion sei – bestenfalls – Privatsache. (Dass es nicht zuletzt Christen waren, die zur Überwindung des SED-Staates beitrugen und übrigens auch die SPD in der DDR gründeten, ist eine schöne Pointe der Geschichte, die man auch in der SPD nicht vergessen sollte!)

 

1918, im Programm der Volksbeauftragten, der Revolutionsregierung von MSPD und USPD, findet sich zum ersten Mal die positive Festlegung: „Die Freiheit der Religionsausübung wird geleistet“. In der Weimarer Verfassung sind dann Religionsfreiheit, Trennung von Kirche und Staat, das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften verankert, Grundsätze, die bis heute gelten.

 

In der Weimarer Republik geriet einiges, wenn auch vorsichtig, zwischen den Fronten in Bewegung. Ich erinnere an den Bund religiöser Sozialisten, an die Dialogbereitschaft von Theologen wie Karl Barth und Paul Tillich, an die Antwortversuche von „rechten“ Sozialdemokraten wie Theodor Haubach, Carlo Mierendorff, Adolf Reichwein. Es waren auf beiden Seiten kleine Gruppen, nicht Mehrheiten. Ihr Einfluss wurde größer nach der Erfahrung der Nazidiktatur, man kam sich näher durch Verfolgung und Widerstand.

 

Auf dem SPD-Parteitag von 1947 klagt ein Redner: „Vor 1933 kamen wohl auch Genossen aus bürgerlichen Kreisen zu uns, die durch den Gegensatz zur Kirche und zur Religion, aber durch kein anderes sozialistisches Interesse zu uns getrieben wurden. Heute ist das Bild gerade umgekehrt. Auf den kulturpolitischen Tagungen der Sozialdemokratie steht der religiöse Sozialismus durchaus im Vordergrund, so dass bei unbefangenen Zuhörern der Eindruck entstehen könnte und auch tatsächlich entstanden ist, als ob der religiöse Sozialismus die einzige offiziell anerkannte kulturpolitische Richtung der Sozialdemokraten sei. (Hört, hört!)“

 

Und tatsächlich: In der Entschließung der kulturpolitischen Konferenz der SPD 1947 in Ziegenhain heißt es: „Kämpferisches Bewusstsein der unterdrückten Klassen, Wille zur Menschlichkeit, religiöse (!) und sittliche Verpflichtung vereinigen sich in der Sozialdemokratie zu einer gemeinsamen Kraft, die Welt zu verändern…“

 

Da wird eine Bewegung sichtbar, die die bisher starren Fronten lockert und überwindet. Unterstützt vor allem auf evangelischer Seite – auch durch manche Schuldbekenntnisse der Kirche. Ich erinnere insbesondere an das „Wort des Bruderrates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum politischen Weg unseres Volkes“ vom August 1947 (das sogenannte „Darmstädter Wort“).

 

Willi Eichler, der programmatische Denker der SPD dieser Zeit, plädierte 1949 für ein „Bündnis der guten Christen und der guten Sozialisten, für das Bündnis der Leidenden und der Denkenden, der Anständigen, Gläubigen und seelisch gefestigten Vertreter einer sittlichen und rechtlich-moralischen Ordnung“.

 

In der SPD und ihrer Bundestagsfraktion bildete sich ein protestantischer Flügel heraus, zunächst um den „Kronjuristen“ Adolf Arndt, dann erheblich verstärkt durch Gustav Heinemann und weitere Mitglieder seiner aufgelösten Gesamtdeutschen Volkspartei: Johannes Rau, Erhard Eppler, Jürgen Schmude, Friedhelm Farthmann, Diether Posser und die ehemalige Zentrumsvorsitzende Helene Wessel.

 

Auf katholischer Seite ging es erheblich zögerlicher zu. Wahlempfehlungen zugunsten der CDU gab es von der Bischofskonferenz noch bis 1980. Erinnert sei aber doch an das Wirken von Walter Dirks und Eugen Kogon, an die Frankfurter Hefte, an die Gespräche der 50er Jahre im Dominikanerkloster Walberberg bei Bonn und schließlich an die erste öffentliche Begegnung zwischen Sozialdemokratie und Katholizismus im Januar 1958 in der Katholischen Akademie in München, an der auf katholischer Seite die berühmten Jesuiten-Professoren Gundlach und von Nell-Breuning teilnahmen und für die SPD Carlo Schmid, Adolf Arndt, Waldemar von Knoeringen. Konrad Adenauer hatte diese damals spektakuläre Tagung durch Intervention beim Vatikan zu verhindern versucht.

 

Das Konzil stellte dann klar (in der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“), dass es bei „Fragen der Ordnung irdischer Dinge“ unterschiedliche Meinungen geben könne und niemand das Recht habe, ausschließlich für seine Position kirchliche Autorität in Anspruch zu nehmen“. Das hätte schon damals zu einer Öffnung auch hin zur SPD führen können.

 

Aber es dauerte. Bei dem Historiker Rainer Hering habe ich die Geschichte von einer erstmaligen Papst-Audienz einer SPD-Delegation gefunden – unter Führung von Fritz Erler bei Paul VI. im März 1964. Die Audienz sei so diskret vorbereitet worden, dass der deutsche Episkopat und die Bundesregierung erst nach Vereinbarung des Termins davon erfuhren, es sei Fotografierverbot und strengste Vertraulichkeit vereinbart worden. Drei Jahre später, im November 1967 dann wurde der erste Sozialdemokrat, nämlich Georg Leber, ins Zentralkomitee der deutschen Katholiken gewählt.

 

Von Seiten der SPD bildet das Godesberger Programm von 1959 die eigentliche Zäsur in ihrem Verhältnis zu den Kirchen. Die entscheidenden Sätze: „Der Sozialismus ist kein Religionsersatz. Die Sozialdemokratische Partei achtet die Kirchen und Religionsgemeinschaften, ihren besonderen Auftrag und ihre Eigenständigkeit. Sie bejaht ihren öffentlich-rechtlichen Schutz. Zur Zusammenarbeit mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften im Sinne einer freien Partnerschaft ist sie stets bereit“.

 

Willy Brandt benennt als die entscheidenden Punkte der Godesberger Neuorientierung der SPD (in einer Rede 20 Jahre danach): „1. Die SPD verzichtet auf eine verbindlich festgeschriebene Analyse von Welt und Mensch, die Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben könnte, ebenso wie auf eine geschichtsphilosophisch begründete Utopie. 2. Die SPD sieht die Motivation, für ihre Ziele zu wirken, in den Grundwerten gegeben: Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität. Keiner dieser drei wird absolut gesetzt, alle drei bedingen sich wechselseitig. 3. Die SPD versteht sich folgerichtig als eine …Gemeinschaft von Menschen, die aus verschiedenen Glaubens- und Denkrichtungen kommen. Ihre Übereinstimmung beruht auf gemeinsamen sittlichen Grundwerten und gleichen politischen Zielen“.

 

Godesberg, das war – um es kurz und pointiert zu sagen – der Abschied von der Klassenpartei, der Abschied von einer atheistisch geprägten Weltanschauungspartei.

 

Erst und gerade auch die Öffnung zu den Christen, die Formulierung eines neuen, partnerschaftlichen Verhältnisses zu den Kirchen machte die SPD zu einer Volkspartei, erst dadurch wurde sie mehrheitsfähig und konnte (auf Bundesebene) Wahlen gewinnen.

 

Heute gehören – nach einer Parteien-Untersuchung aus dem Jahr 2009 – 73 % der SPD-Mitglieder einer Kirche oder Religionsgemeinschaft an. Das sind mehr als in der Bevölkerung – und das finde ich durchaus nicht überraschend – denn Religion, wenn sie das Gebot der Nächstenliebe ernst nimmt, motiviert zu sozialem Engagement, zum Einsatz für die Anderen, für das Gemeinwohl.

 

Heute ist die SPD eine weltanschaulich-plurale Partei (wie sie es auch sozial und kulturell ist), und auch deshalb ist sie eine Volkspartei.

 

In ihr arbeiten, wie es im gültigen, dem Hamburger Programm von 2007 heißt, „Frauen und Männer unterschiedlicher Herkunft, verschiedener religiöser und weltanschaulicher Überzeugung zusammen. Sie verstehen sich seit dem Godesberger Programm von 1959 als linke Volkspartei, die ihre Wurzeln in Judentum und Christentum, Humanismus und Aufklärung, marxistischer Gesellschaftsanalyse und den Erfahrungen der Arbeiterbewegung hat.“

 

Es war ein langer Weg – zu einem partnerschaftlichen Verhältnis zwischen SPD und Kirchen, zu wechselseitiger Anerkennung und Wertschätzung. Die schließen Differenzen und Streit nicht aus, sondern ein, wie die vergangenen fünf Jahrzehnte, sowohl die Regierungs- wie die Oppositionszeiten der SPD gezeigt haben. Das inzwischen längst dicht geknüpfte Netz von Gesprächsfäden und Kontakten ist so leicht nicht mehr zu zerreißen, meine ich.

 

Es geht zwischen SPD und Kirchen, zwischen ihren Vertretern nicht um Freundlichkeit zwischen Menschen (die sich selbst-verständlich gehört), nicht um Nettigkeit, nicht um den Austausch politischer Übereinstimmungen (so schön das jeweils sein mag), sondern das partnerschaftliche Zusammenwirken ist tiefer zu begründen, ist, glaube ich, auch tiefer begründet.

 

Aus der Sicht eines Sozialdemokraten nenne ich vier Punkte.

 

1.In der Auseinandersetzung und Erfahrung mit nationalsozialistischer und kommunistischer Diktatur haben Sozialdemokraten (endgültig) gelernt, politischen Heilsversprechen zu misstrauen und politischen Totalitätsansprüchen zu widerstehen. Deshalb heißt es im Hamburger Programm (im Kapitel „Unser Bild vom Menschen“): „Wir widersprechen jedem politischen Allmachtsanspruch über die Menschen. Wenn Politik selbst Glück und Erfüllung verspricht, läuft sie Gefahr, in totalitäre Herrschaft abzugleiten“.

 

2.Sozialdemokraten wissen um die Grenzen von Politik. Gerade für eine Partei, der es um wertefundierte und werteorientierte Politik geht, sind die nichtpolitischen, sind die philosophisch-religiös begründeten ethischen Voraussetzungen von Politik von besonderem Gewicht, ja von besonders pfleglich zu behandelnder Kostbarkeit. Das bemerken wir doch: Gemeinsame Vorstellungen von Freiheit und Gerechtigkeit, von der Notwendigkeit von Solidarität, davon, was Menschenwürde meint, was Toleranz…also starke gemeinsame Normen, Maßstäbe, Werte – die sind nicht einfach da, sondern sie müssen tradiert, vitalisiert, durch Bildung und Beispiel weitergegeben, vorgelebt werden. Das kann Politik nicht, jedenfalls nicht allein und zuerst. Das ist der Sinn des oft zitierten Satzes von Ernst-Wolfgang Böckenförde: „Der freiheitliche, säkulare Staat lebt von Voraussetzungen, die er nicht selbst garantieren kann“.

 

3.Unser Bild vom Menschen ist anders und reicher als die Verkürzung, die der Markt vornimmt, der den Menschen auf die beiden Rollen reduziert, in denen er den Menschen nur kennt, nämlich als Arbeitskraft und Konsument. Sozialdemokratische Politik ist der entschiedene Einspruch gegen diese Verkürzung. Deshalb heißt es in unserem Grundsatzprogramm: „Die Würde des Menschen ist unabhängig von seiner Leistung und seiner wirtschaftlichen Nützlichkeit… Menschen dürfen nie zum Mittel für irgendwelche Zwecke erniedrigt werden, weder vom Staat noch von der Wirtschaft.“

 

4.Die SPD versteht sich seit ihren Anfängen als eine Partei der Solidarität und zwar nicht nur der nationalen Solidarität, deshalb war sie immer eine internationalistische Partei. Der Einsatz für Frieden durch Gerechtigkeit und Entwicklung ist Grundpfeiler sozialdemokratischer Außenpolitik. Frieden zu ermöglichen durch eine Politik der Entfeindung, also Entspannungspolitik; Frieden zu ermöglichen durch eine Politik internationaler Gerechtigkeit, also verantwortliche Nord-Süd-Politik; Frieden zu ermöglichen durch eine Politik der Bewahrung der Schöpfung – dass sind grundlegende Verpflichtungen für die Sozialdemokratie, die sie – manchmal mit sogar geschichtsmächtigem Erfolg – zu erfüllen trachtet.

 

Es gibt, denke ich, genügend Verbindungspunkte zwischen der SPD und den Kirchen und Religionsgemeinschaften und – ich betone es – auch anderen Weltanschauungsgemeinschaften. Ihr Zusammenwirken ist und bleibt notwendig – um der Zukunft der Demokratie als politischer Lebensform der Freiheit willen, um der Zukunft der Gerechtigkeit willen (den Sozialstaat eingeschlossen) als einer notwendigen Grundlage gelingender, stabiler Demokratie.

 

Darum wehren wir uns gegen die totalitärer werdende Dominanz des Ökonomischen, wehren uns dagegen, dass alles vollends zur Ware wird – Sicherheit, Gesundheit, Kultur… Wir wehren uns gegen die Verengung und Verfälschung von Demokratie zu einer marktkonformen Demokratie und verteidigen den Primat demokratischer Politik gegenüber der Wirtschaft.

 

Es gibt genug Stoff für politische Gemeinsamkeiten – ohne sich wechselseitig auf falsche Weise in Anspruch nehmen zu sollen und zu wollen, also ohne Alleinvertretungs- oder politisch-moralische Monopolansprüche. Alleinseligmachend (sprich alternativlos) – das gibt’s in der Politik nicht.

 

Sozialdemokratie und Kirchen haben gewiss und selbstverständlich unterschiedliche Aufgaben. Aber sie stehen auch vor einer durchaus verwandten Herausforderung, nämlich Antworten zu finden auf die wachsende soziale, kulturelle und weltanschauliche Heterogenität und Pluralität der Gesellschaft, ohne dabei an Kenntlichkeit und Überzeugungskraft zu verlieren.

 

Dazu zitiere ich zum Schluss Peter Glotz (den ehemaligen Chef-Intellektuellen der SPD): Ich fürchte, so hat er vor 10 Jahren geschrieben, „dass durch eine reinliche Trennung von Staat und Kirche“ – ich ergänze: durch eine Entgegensetzung von SPD und Kirchen – „diejenige Fraktion gestärkt würde, die ohnehin schon die stärkste ist, die der Salon-, der Feld-, Wald- und Wiesen-Relativisten. Eine solche reinliche Scheidung würde die Kommunikation – und den Streit – authentischer Sprecher mindern. Das wäre ein Schaden für eine Gesellschaft, deren größte Gefahr die Segmentierung, das Auseinanderfallen ist“.

 

Von wegen „Mehr Bebel und weniger Bibel“! Nein, vielmehr immer wieder zu erneuernde Partnerschaft, Zuhören und Streit, Diskussion und gemeinsames Handeln, wo möglich und nötig. Das ist es!